Parkbank
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Die Bank steht im Schatten einer alten Baumes, die Blätter machen ein sanftes Geräusch, wenn der Wind durch sie hindurchstreicht. Ich sitze hier seit einer halben Stunde, vielleicht auch länger. Zeit spielt keine Rolle an einem Sonntag Nachmittag wie diesem, wenn die Sonne warm auf meine Schultern scheint und der Park sich langsam mit Leben füllt.
Ein junges Paar kommt den Weg entlang. Zwei Jungen, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Ihre Finger sind ineinander verschränkt, so selbstverständlich wie Atmen. Der eine trägt ein übergroßes Band-Shirt, der andere Jeans mit aufgerissenen Knien. Sie reden leise miteinander, lachen über etwas, das nur sie verstehen. Als sie näher kommen, sehe ich, wie der Größere dem anderen sanft über den Handrücken streicht, eine winzige Geste der Zärtlichkeit, die mein Herz warm werden lässt.
Sie gehen vorbei, ohne mich zu bemerken. Warum sollten sie auch? Ich bin nur ein Mann mittleren Alters auf einer Parkbank, der den Nachmittag verstreichen lässt. Aber während ich ihnen nachsehe, wie sie sich langsam entfernen, ihre Hände immer noch ineinander verwoben, breitet sich etwas in meiner Brust aus. Freude. Reine, ungetrübte Freude über diese Selbstverständlichkeit, über diese Leichtigkeit, mit der sie ihr Leben leben können.
Und dann, leiser, aber nicht weniger real: ein Stich. Ein kleiner Schmerz, der anders ist als die Erinnerung an die Schläge. Es ist Neid. Ich beneide sie um das, was sie haben und was ich nie hatte – um diese sorglosen ersten Schritte in die Liebe, um die Möglichkeit, einfach zu sein, ohne Angst vor dem nächsten Tag. Um eine Jugend, die nicht von Angst überschattet war.
Und dann, wie ein Schatten, der über die Sonne zieht, bin ich wieder fünfzehn.
Es ist der Tag, an dem ich endlich den Mut gefasst habe. Ich stehe mit meinen besten Freunden zusammen und sage es ihnen. Die Worte, die ich so lange in mir getragen habe. „Ich bin schwul.“
Sie nicken. Sie sagen, es sei okay. In diesem Moment denke ich, dass alles okay sein wird.
Aber Geheimnisse haben in der Schule kurze Beine. Bis zum Ende des Tages wissen es alle. Geschichten werden daraus gesponnen, die nichts mehr mit meiner Wahrheit zu tun haben. Und dann warten sie auf mich.
Es sind nicht fremde Gesichter. Es sind die, von denen ich dachte, sie würden mich verstehen. Die sich hätten mit mir freuen sollen. Stattdessen strafen sie mich für meine Ehrlichkeit. Für den Mut, der sich als Naivität herausgestellt hat.
Die Schläge kommen, aber schlimmer als der Schmerz ist die Erkenntnis: Ich habe mich geirrt. In allem. In ihnen, in mir, in der Hoffnung, dass Wahrheit belohnt wird statt bestraft.
Als es vorbei ist, schmecke ich Blut und verstehe, dass ich jahrelang nicht mehr so ehrlich sein werde. Dass ich lernen werde, unsichtbar zu sein, weil sichtbar sein zu gefährlich ist. Es sollte mir nur leidlich gelingen, aber gut genug, um noch hier zu sein.
Auf der Parkbank atme ich tief ein und lasse die Erinnerung wieder gehen. Das Paar ist jetzt fast außer Sichtweite, zwei winzige Gestalten am anderen Ende des Parks. Aber ihre verschränkten Hände leuchten noch immer in meinem Gedächtnis.
Nach diesem Tag habe ich drei Jahre lang niemandem mehr erzählt, wer ich wirklich bin. Drei Jahre, in denen ich mir eingeredet habe, dass es vielleicht nur eine Phase war, dass ich mich geirrt hatte, dass die Schmerzen in meinen Rippen und das Echo ihrer Worte wichtiger waren als meine Wahrheit. Drei Jahre, in denen ich gelernt habe, unsichtbar zu sein. Drei Jahre, in denen ich anderen Jungen dabei zusehen musste, wie sie ihre ersten Beziehungen erlebten, während ich noch nicht einmal mir selbst erlauben konnte zu träumen.
Es hat noch viel länger gedauert, bis ich verstanden habe, dass Unsichtbarkeit keine Sicherheit ist. Sie ist nur eine andere Art des Erstickens.
Ein Windstoß rauscht durch die Baum über mir und lässt die Blätter tanzen. Irgendwo im Park ruft jemand den Namen eines Hundes. Ein Jogger trabt vorbei, Kopfhörer in den Ohren, versunken in seine eigene Welt. Das Leben geht weiter, wie es immer weitergegangen ist, auch nach jenem Dienstag im März, auch nach all den Jahren, die folgten.
Aber etwas hat sich verändert. Ich sehe es in den Händen der Teenager, die vorhin vorbeigegangen sind. Ich sehe es in der Art, wie sie lachen konnten, ohne über die Schulter zu blicken. Ich sehe es darin, dass sie einfach sein konnten, was sie sind, ohne sich dafür zu entschuldigen.
Und ich spüre es in der Wärme, die sich in meiner Brust ausbreitet, wenn ich daran denke. Es ist nicht nur Freude über das, was diese Jungen haben. Es ist auch etwas anderes, etwas Größeres: die Erkenntnis, dass der Schmerz von damals nicht umsonst war, wenn er dazu beigetragen hat, eine Welt zu schaffen, in der andere es leichter haben.
Ich stehe auf von der Bank und recke mich. Meine Beine sind steif vom langen Sitzen. Als ich den Park verlasse, werfe ich noch einen letzten Blick zurück auf den Weg, den das Paar entlanggegangen ist. Ihre Spuren sind längst verschwunden, aber etwas von ihrer Leichtigkeit bleibt in der Luft hängen.
Auf dem Heimweg denke ich daran, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich mit fünfzehn solche Paare im Park hätte sehen können. Ob es mir Mut gemacht hätte. Ob alles anders gewesen wäre. Ein Teil von mir wird immer um diese unschuldigen ersten Male trauern – um den ersten Kuss, der nicht von Angst überschattet war, um die ersten Schmetterlinge im Bauch, die sich nicht gleich in Panik verwandelt haben. Um das Recht, jung und verliebt zu sein, ohne den Preis dafür bezahlen zu müssen.
Ich bin froh, dass es heute anders ist. Ich bin dankbar für die Welt, in der diese Jungen leben können – auch wenn sie noch besser sein könnte. Aber das bringt mir meine Jugend nicht zurück. Das macht die Jahre der Angst nicht ungeschehen. Manchmal denke ich, dass das okay ist – dass nicht alles geheilt werden muss, nicht alles einen Sinn haben muss. Manchmal denke ich, dass es genug ist zu wissen, dass andere es leichter haben werden.
Heute ist nicht so ein Tag. Heute fühlt sich der Neid scharf an, und das ist auch in Ordnung. Morgen vielleicht weniger.
Titelbild: Babewyn, Wiese-u-cruisingwaeldchen hasenheide 2022-08-22, CC BY-SA 4.0